Archiv der Kategorie: protokoll

To Love a Cat

Luba Goldberg

 

Update: Ali hat mich nun aus seiner Freundesliste bei Facebook gelöscht. Wieso? WIESO?

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Über die Autorin

Luba Goldberg lebt in Düsseldorf und ist Chefredakteurin bei DIESE KREISE. Sie hat mit ihrer Redaktion neunzehn Arbeitsplätze geschaffen und muss sich oft Mühe geben, bei dem ganzen Chaos den klaren Kopf zu behalten. Sie liebt ihren Kater bis zum geht nicht mehr.

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Montag, den 10.02.2014

„Kommst du zum Rundgang?“ das hat mich absolut keiner gefragt. Trotzdem war ich am Montag da. Und am Donnerstag, und am Freitag, und am Samstag und am Sonntag. Tag und Nacht.

Warum, das weiss ich auch nicht. Keine Zeitung, die ich angerufen (eigentlich waren es meistens Emails) habe, wollte was vom Rundgang hören. Zumindest nicht, dass ich für die darüber schreibe. Also gab es keinen offiziellen Anlass für mich, da zu sein. Und persönlichen auch schonmal nicht, wie bereits gesagt. Ich weiss absolut nicht, was mich dahin gezogen hat. Schon wieder. Nichtmal meine Therapeutin weiss es. Sie schüttelt mit dem Kopf jedes Mal, wenn ich „Kunstakademie“ sage. Oder sie kriegt diesen eisigen Blick. Sie glaubt, die Kunstszene tut meiner geistigen Gesundheit nicht so gut. (Dieser Blog ist nur eine Bestätigung davon, dass sie Recht hat.)

Aber ich hatte das Gefühl, wenn ich nicht hingehe, verpasse ich was Aufregendes.

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Eine Skulptur aus der Akademiesammlung

Ich war nicht bei der Eröffnungsrede, so wie letztes Jahr. Aber dieses Mal hab ich es bereut, weil sie dieses Mal nicht von Tony Craigg oder dem Akademie-Kanzler abgehalten wurde, sondern von der neuen Direktorin Rita McBride, die ich noch gar nicht interviewt habe und die sehr demokratisch sein soll.

Aus einer verlässlichen Quelle weiss ich, dass sie unter anderem gesagt haben soll: „Der Rundgang ist egal!“ Unsere Redaktion ist entzückt von dieser Einstellung. Wir trinken auf Ritas Gesundheit.

Kunststudenten chillen in einem Atelier
Kunststudenten chillen in einem Atelier.

Rita McBride, über die ich mir seit einem Jahr von ihren Studentinnen Schwärmereien anhören musste, also lange bevor sie Direktorin wurde, habe ich in der improvisierten Kantine getroffen. Ein Atelier wurde leergeräumt, ein paar Bänke und ein DJ-Pult wurden hereingezogen und ein Bartresen aufgestellt. Man durfte auch rauchen.

Am Tresen haben zwei Mädchen Buchweizennudeln und Alkohol verkauft. Es gab nur Veganes. Kunstudenten und Professorenstanden umher und lächelten. Alle.

Mitten im Raum tanzte die Direktorin. Sie lächelte auch heiter und wenn ich ihr Gesicht nicht gekannte hätte, hätte ich sie für eine Studentin gehalten. Für eine elegante. Sie trug eine runde schwarze Brille; ihre lange blonde Locken und der schmal geschnittene dunkler Mantel waren offen. Soya Arakawa, der japanischer Austauschstudent aus ihrer Klasse (weil sie nämlich auch immer noch Professorin ist) wollte mich ihr gerade vorstellen, da zeigte sie mit ihrem Finger auf mich:

„I know you!“ sagte sie. Ich wurde rot vor Vergnügen, weil ich sie nie vorher getroffen habe. Wahrscheinlich von irgendwelchen Fotos, dachte ich.

„Where do you know me from?“ hab ich gefragt.

„I have no Idea, but I’m SO glad you came!“ sagte sie mit einem großen fröhlichen Grinsen. Das war unsere ganze Unterhaltung. Danach wurden wir unterbrochen von Jemanden, der was von ihr wollte. Natürlich wollte Jemand was von ihr.

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Eine Skulptur aus der Akademiesammlung

Daneben stand ein junges Mädchen, das aussah wie Ritas Doppelgänger. Auch der dunkelblaue Mantel, die runde Brille, die blonden Locken und dieselben Gesichtszüge. Sie hat sich auf Englisch als Isabelle vorgestellt. Sie war nicht mit Rita verwandt, gab aber die Ähnlichkeit gerne zu. Auf alles, was ich über mich erzählt habe, antwortete sie „Oh, how wonderful.“ Auf alles, was Soya ihr erzählt hat, sagte sie auch“How wonderful“. So ganz ohne Ausrufezeichen.

Im Flur war die Eröffnungsparty auch. Jens Einhorn hat Gin Tonic und Sekt verkauft, um eine Oase des Friedens zu schaffen. Das Bild dazu durfte ich leider nicht verwenden, weil es für den kommenden Absatz zu gut war. Es sah aus wie ein kleiner Eiswagen, vollfgeklebt mit alten Postern, mit einem Pappkarton darüber, auf dem in roter Lippenstift-ähnlicher Schrift stand „GIN-TONIC Pfeffi SEKT“, und mit den kleinen Lautsprechern an beiden Seiten. Und Jens mit grüner Schiebermütze dahinter, der gerade konzentriert etwas einschenkt. Auf der Wand ist die simple Akademie-Uhr, die 2.06 zeigt. Leider werdet ihr dieses Bild nie sehen. Es sei denn, ihr addet Jens auf Facebook uns stalkt in seinem Profil, wie ich.

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Graffiti an einer Akademiewand

Ein betrunkener Mann, der übrigens nicht aus der Akademie war, hat meine Wange angefasst, als ich ihm zufällig gegenüberstand. Direkt in der Friedensoase! Ich kannte ihn nicht und habe mich beschwert. „Was soll das?“, habe ich gefragt. Und plötzlich zog meine Hand an seiner Nase. Fester, sehr fest. Dann hat meine Hand versucht, seine Nase um ihre eigene Achse zu drehen, erst im Uhrzeigesinn, dann entgegengesetzt.

Graffiti an der Akademiewand
Eine andere Graffiti an einer Akademiewand

Das war so ein Spaß, meine Hand konnte gar nicht aufhören. Ich dachte, ich muss früher oder später, weil der sich das bestimmt nicht lange gefallen lässt. Der Mann fühlte sich davon aber scheinbar überhaupt nicht getroffen. Er meinte „Das ist doch nichts, schlag mich ins Gesicht!“ Also tat ich es. Nach fünf Ohrfeigen hatte er immer noch nicht genug, aber es fing für mich langsam an, ein bisschen peinlich zu werden. Obwohl sich meine Anspannung gelockert hat. Also ging ich.

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Letztes Jahr gab es ganz schön viel Schnee auf der Akademieterrasse und auch sonst. Ein aktuelles Bild der Terrasse habe ich nicht. Außerdem war es dunkel.

Da lief mir wieder Soya entgegen, mit einem Bier. Das fand ich sehr passend, weil ich dringend jemanden mit stabiler Psyche sehen musste. Wir gingen auf die Terrasse, meinen Lieblingsort in der Akademie. Es war naürlich dunkel und es hat ein wenig geregnet, aber die frische Luft tat so gut. Netterweise hat Jemand auch einen Stuhl für mich hingestellt. Soya sagte, er will lieber stehen. Wir schauten runter auf die Stadt und lästerten über gemeinsame Bekannte. Soya erzählte, dass er seit fünf Jahren kein Fleisch mehr gegessen hat. Ein Wahrsager meinte nämlich, dass wenn er das fünf Jahre lang tut, er ein großer Star der Kunstwelt sein wird. Bald wäre die Frist aber um.

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Soyas aktuelles Facebook Bild mit einem Stück Eisbein im Mund. Die Frist ist also inzwischen um. Mit soviel Opferbereitschaft und Leidenschaft, die man ihm ansieht, wird Soya zweifellos ein Star. Unsere Redaktion wünscht ihm jedenfalls viel Erfolg!

Spater war ich im Salon (des Amateurs) und es war fast wie letztes Jahr. Am besten erinnere ich mich an die Tochter von Peter Doig, Celeste, eine wunderschöne starke Brünette. Sie hatte was von einer Profitänzerin, eine Art Hitze, die von ihrem Körper kam, selbst wenn sie sich nicht bewegt hat. Wahrscheinlich hat es ihr deshalb nichts ausgemacht, mitten im Februar einen low-cut Tanktop zu tragen. Ich habe sie auf der Damentoilette kennengelernt. Sie hat gleich erklärt, dass sie die Tochter von Peter Doig ist. Und, dass sie extra aus London mit ihrem Freund angereist ist, um in Salon Musik aufzulegen. Leider habe ich ihre Set schon verpasst. Später habe ich sie draußen vor der Tür getroffen (im Salon darf man nicht rauchen) und ihr meine Email gegeben, aber ich weiss nicht mehr, was der Anlass war. Der Abend ließ immer mehr Fragen offen. Ob sie sich wohl meldet?

2014-02-14 19.57.10Die ganze Zeit kamen irgendwelche Leute rüber und haben sich vorgestellt. Die wussten wohl nicht, dass ich ohne Einladung gekommen war. Wahrscheinlich war das wegen meiner Schönheit oder ich weiss auch nicht. Und natürlich konnte ich mir nicht alle Namen und Gesichter merken. Aber ich wusste, dass während der Rundgangswoche sie mir alle nochmal begegnen. Oder zumindest die meisten.

Ich weiss aber noch, wer von perversen Südländern am Po begrabscht wurde und vergessen hat, sich bei dem Türsteher zu beschweren, damit er sie rauswirft, so wie ich ihr geraten hab – Nora Hansen – dabei wäre das so lustig geworden. Ich weiss auch noch, wer mit dem offenen Mund so süß und friedlich auf dem Sofa geschlafen hat, dass niemand sich traute, ihn zu wecken – Camillo Grewe. Zu den beiden kommen wir noch.

An das Ende erinnere ich mich am besten. Ich sitze auf der Steinbank auf der Terrasse vor dem Salon zwischen zwei viel zu großgewachsenen und gutassehenden Männern. Der eine ist Schreiner, und der andere ist Investmentbanker. Selbstverständlich waren sie nur da, um Frauen aufzureißen. Mir war es aber egal. Ich war so müde, ich konnte nicht aufstehen und nach Hause gehen. Um ehrlich zu sein, wollte ich auch noch wissen, wie alles ausgeht. Um mich zu unterhalten, frage ich den Tischler, was er von Männern hier hält, besonders von dem einem da vorn in der weißen Jeans. (Er hat mich vorhin auf die Nase geküsst, und ich war mir nicht sicher, was ich davon halte) „Pffff… nee, also wenn ich schwul wäre, würde ich bestimmt nichts mit so einem Möchtehgernschauspieler anfangen… Sieh dir seine O-Beine an, sieh dir nur, wie er da rumsteht… Nee, wenn dann eher mit dem blonden da“ und zeigt auf den Investmentbanker, der vom Alkohol schon anfing, zu schielen. Unter der Jacke hatte der schielender Investmentbänker ein T-Shirt mit einem total süßen Plüschbären drauf – extra damit alle Frauen auf der Party sagen – total süß! Trotz seines kritischen Zuständes brachte er es hin, mich zu fragen „Sollnwa ma inna Hoteeel? Komm, lass uns inna Hoteel gehn…“

„Welchen Hotel hattest du da im Sinn?“ hab ich ihn gefragt. Ich hab nämlich bis jetzt kaum Hotels in dieser Stadt von Innen gesehen.

Darauf hat er irgendwas von Holiday Inn gemurmelt. Als junges Mädchen mit kaum Hotelerfahrung konnte ich soviel Geiz bei einem Investmentbanker nicht vorhersehen und musste schwer ausatmen.

Es wurde ganz leer, im Salon gingen die Lichte auf, nur zwei Frauen sind dringeblieben, eine davon war Jasmin. Ihr Freund Marcel wollte unbedingt rein, und er hat es ganz laut geschrien und um sich geschlagen, sogar einmal gegen die Wand. „Ich will eine Beziiiiiehung! AAAhhhhhh! Soll die Schlampe doch mal rauskommen!“ Sie wollte anscheinend nicht, weil diese Aktion ziemlich lange lief und Marcel immer ausfallender wurde und anfing, im Kreis herum zu laufen und „AAAAAhhh!“ zu schreien. Das gefiel mir nicht, weil ich keine laute Geräusche mag. Ich hab dem Schreiner gesagt „Das gefällt mir nicht.“ „Das gefällt mir auch nicht“, sagte der Schreiner.

Der schielende Investmentbanker hat mich noch bis um die Ecke gebracht. Dann hab ich gesagt, dass er zu seiner Freundin gehen soll, obwohl ich gar nicht genau wusste ob er eine hatte. Dann bin ich nach Hause gegangen, während Marcel noch gebrüllt hat.

 

Flesh for Frankenstein (1973) aka Andy Warhol’s Frankenstein

 

An einem Freitag war die ganze Redaktion in Filmmuseum wegen MONDO BIZARR. Das ist ein monatlicher Filmevent, organisiert von einem bärtigen Typen, dem wir noch nicht vorgestellt wurden. Wir kamen in der Pause zwischen zwei Filmen zum Filmmuseum, während alle, die den ersten Film schon gesehen haben, draußen rauchten. Im Kinosaal saßen zwei Frauen. Sie sagten, der nächster Film wird wohl noch schlimmer, als der erste. Wir haben gedacht, die haben null Ahnung. Aber unsere Redaktion weiss natürlich Bescheid. Am besten weiss Bescheid unserer Filmkritiker Karsten Sado.

Karsten hat lange schwarze Haare, die er im Schopf trägt. Er kommt gerade aus einer Klinik für Esssüchtige. Er wiegt 300 Kilo und braucht deshalb im Kino auch einen speziellen Sessel. Ein gewöhnlicher trägt ihn einfach nicht mehr. Außerdem, kommt er da gar nicht rein. Verzeiht ihm seine komische Sprache. Niemand wollte je mit ihm spielen. Wir halten ihn hier auch nur wegen seinen Filmkenntnissen.

Die diktatorische Furie von einer Redakteurin hat mir mein ganzes Hähnchen aus der Hand gerissen, damit ich das hier schreibe. Ich hoffe, das war es wert.

Also, diesen Film kannte ich schon. Aber Ihr kennt ihn sicher nicht, weil ihr anders als ich ein Leben habt. Ihr werden ihn nie sehen, aus demselben Grund. Eigentlich schade, er ist besser, als eure Leben.

Auf einem Landsitz in einem schönen Schloss lebt eine wunderschöne blonde Gräfin mit ihrem mittelmäßig aussehendem Bruder Graf, der vom Beruf Wissenschaftler ist. Was für eine Wissenschaft er betreibt, wird nicht gesagt, aber sie erinnert sehr an die Versuche an den Menschen, die in KZs praktiziert wurden. Die Gräfin und der Graf hatten früher oft miteinander Liebe gemacht, und die Gräfin hat davon zwei süße Kinder bekommen, die aus Hitlerjugend sein könnten.

Nach einigen Jahren hatten sie es satt, inzest zu treiben, der Graf konzentrierte sich auf seiner Wissenschaft, und die Gräfin erzog die Kinder. Bei einem Spaziergang traf sie einen Dorfjungen, den sie zu ihrem Sexsklaven gemacht hat. Soweit ich beurteilen kann, war er auch ziemlich gutaussehend. Andy Warhol hat ihn in mehreren Filmen mitspielen lassen.

Warhol hat den Film nur produziert. Der Regisseur war jemand anderer, den kennt ihr eh nicht. Wäre Warhol der Regisseur, würde er seine schwarz-weisse Kamera in eine Kneipe stellen, vier Stunden filmen, nichts rausschneiden, und in 4 Stunden wäre ein 4-Stunden-langer Film entstanden, den man sich nur auf Drogen ernsthaft ansehen kann.

Graf arbeitet in seinem Laboratorium, indem er Menschen tötet, und aus ihren schönsten Körperteilen neue perfekte Menschen schafft. Die Nähte sind natürlich nicht zu übersehen, aber der gibt sich Mühe.

In einer Szene vergeht er sich an einem weiblichen Geschöpf, während er gleichzeitig in ihren Innereien rumwühlt. Nach dem Orgasmus näht er ihr den Bauch wieder zu, und sie „lebt“, als wäre ncihts gewesen. Als der Assistent später dasselbe mit ihr versucht, fasste er wohl die Organe irgendwie falsch an, weil sie danach nämlich „stirbt“ (nochmal, und dieses mal für immer).

Das Ziel des Professors ist es, dass die zwei von ihm geschaffene perfekte Geschöpfe, Mann und Frau, ein Kind machen. So um die endgültige Perfektion zu erreichen. Er weiss leider nicht, dass der „Mann“ schwul war, als er gelebt hat. Der arme Graf zwingt das weibliche Geschöft bestimmt zwanzig mal, ihn zu küssen, während der Assistent jedes mal sehr angestrengt auf seinen Schwanz schaut. Aber natürlich kriegt der „Mann“ keinen hoch. Könnte aber auch daran liegen, dass er eine Leiche ist, die zum Leben auferweckt wurde.

Die beiden Kinder haben im Schloss nichts zutun, also schauen sie heimlich den Versuchen zu, oder, wie ihre Mutter den Dorfjungen durchnimmt.

Zufällig wird viel Blut vergossen, viele Innereien kommen zum Vorschein. In einer Sequenz fällt das einzige Dienstmädchen mit dem aufgeschlitzten Bauch auf ein Gitter, und ihr Leber hängt durch die Gitterstäbe durch. In einer anderen Sequenz wird jemand von Hinten mit einem Dolch erstochen, und sein Leber widerum kommt auf der Dolchspitze von Vorne raus.

Der empfindlicher Marketing-Manager unserer Redaktion musste sich während des Screening dauernd das Gesicht in den Händen vergraben. Das war so süß!

Auf jeden Fall ist der Film sehenswert. Allein schon deshalb, wie selbstverständlich das Absurde darin ist. Dann noch wegen dem Leber. Und wegen dem Liebhaber der Gräfin.

So, jetzt hol ich mir mein Hähnchen zurück.

Küsschen, eurer Karsten.


Die Zerlegung der Praktikantin #2

Unser junger Videoredakteur Karsten Sado, der gerade sein Volontariat bei Handelsblatt abgebrochen hat, ist ein Klugscheißer. Er meint, nur weil er bei einer „seriösen“ Zeitung war, weiss er alles von der Welt, und verteilt deshalb überall seine kostbaren Ratschläge. Natürlich hat er sich damit als Erstes an das schwächste Glied unserer Kette geschmissen – unsere bezaubernde blonde Praktikantin, die erst sein ein paar Wochen da ist. Sie wollte sich mit ihm anfreunden (warum, versteht keiner), darauf kam er gleich mit den Fotos seiner „Freundin“ aus Thailand, mit der er angeblich eine Fernbeziehnung hat. Für uns sah sie aus wie eine gewöhnliche Thai-Nutte. Luba hat gar nicht verstanden, was los ist. Sie saß nur so da und ließ sich filmen.

Wie jeder Trottel, schämt er sich für seinen Namen und schreibt stattdessen irgendwelchen Quatsch in den Abspann, aber so einfach lassen wir den Loser nicht entkommen.

Luba und ihr Herpes

Ja, so heißt tatsächlich der erste Beitrag unseres Kultmagazins. Alle Redaktionsmitglieder, inklusive Buchhalter und Putzfrau, fanden es passend.

Luba, unsere Praktikantin, hat die Nacht bei A. A. verbracht. Offiziell „im Rahmen eines Projekts“, zusammen mit 12 anderen Leuten aus diesen Kreisen. Am späten Abend, als sie vor dem Rausgehen in den Spiegel geschaut hat, hatte sie nur einen kleinen roten Fleck an der Oberlippe, der kaum zu sehen war. Unwissend unterhielt sie sich mit allen, während dieser Fleck bis 7 Uhr morgens zu einem prächtigen gelben Brokkoli aufgeblüht war, aus glänzenden gelben Bläschen, gefüllt mit Lymphe. Wir fragen uns, wie sich wohl alle noch auf ihre Gesprächsthemen konzentrieren konnten während dieser ganzen Rosenzeit, die direkt vor ihren Augen stattfand.

Ein Glück für Luba, dass sie das noch nicht wusste, sonst wäre sie in Panik nach Hause gelaufen und hätte alles verpasst. Und wäre natürlich vom Kultmagazin gefeuert.

3518640b866fb89f80375a729ea5c1d9Vor allem auch, weil sie so viel Wert auf die Meinung Anderer legt, und, weil sie sich von einem extrem eitlen Drogendealer die ganze Nacht anhören musste, dass sie besser keine weiteren Fotos bei Facebook reinstellen soll, auf denen ihre allergische Reaktionen auf Medikamente so gut zur Geltung kommen. Wie etwa mit einer Unterlippe, die auf die Größe einer Minibanane anschwoll. Der Dealer meinte, man sollte sich im besten Licht darstellen. Es kann nämlich sein, dass bei denjenigen, die für dich (heimlich) romantische Gefühle hegen, diese Romantik sofort verfliegt. Sein Wort für das Lippenbild war, glaube ich, „abscheulich“.

Wir haben das Lippenbild nachträglich in der Redaktionssitzung besprochen. Darauf steht Luba in ihrem süßen gemusterten Pulli vor dem Spiegel und fotografiert sich selbst. Sie hat so unheimlich schöne Augen (deswegen haben wir sie angestellt) und zerzaustes Haar. Ihre Unterlippe sieht wirklich ein wenig monströs aus. Aber das mögen wir. So sehen wir Luba nicht jeden Tag. Sonst wechselt sie nur hin und wieder die Lippenstiftfarbe. Aber die Form, so krass! Das war mal eine gute Abwechslung. So wie ein surrealer Haarreif oder überdimensional große Ohrringe. Ein Redaktionsmitglied, der hier wegen seiner Frau ungenannt bleiben wollte, fand es sexy. Er hat „Knutschlippe“ dazu gesagt. In der Mittagspause hat er sich dann mit Luba zurückgezogen. Seine Frau erkennt ihn wahrscheinlich an seinem Herpesfleck.

Jedenfalls war das für Luba am besagten Abend noch nicht alles. Wäre ja auch schade. Wir haben sie nämlich nicht dahingeschickt, damit sie die erbärmlichen Reste ihres Selbstvertrauens verliert. (Die Arme ist bei ihrem perversen Onkel aufgewachsen.) Wir wollten, dass sie sich ein wenig amüsiert.

Anders, als beim letzten Mal, hat A., der Gastgeber und Projektleiter des Projekts, Luba nicht als „schmutzig“ beschimpft. Er kann manchmal so ein Arsch sein (wir fragen uns, wie sie sich nach dieser Aktion überhaupt noch getraut hat, dahin zu gehen). Dieses Mal war er wohl besser drauf. Er meinte, sie soll bei diesem Film (der Projekt war ein Film) ihren eigenen Beitrag leisten, als Journalistin. Dabei sah er sie an, als hätte sie schon zwei Pulitzerpreise bekommen. Er sagte, sie soll näher ans Set kommen und sich ihre journalistische (!) Meinung bilden. Luba war so glücklich. Später hat er ihr wieder angeboten, Aktfotos zu machen.

Sie war dieser Frage gewohnt. Seit sie sich in diesen Kreisen bewegt, kriegt sie dauernd Einladungen irgendwas zu machen, wo sie nackt sein soll: ein Aktfoto hier, ein Pornofilm da. Eine Kunststudentin wollte sogar von Luba, dass sie vor der Kamera Poledance macht. So um eine vertikale Stange, unbedingt in kurzen Hosen (das haben wir ihr zum Glück ausgeredet, kurze Hosen stehen ihr nämlich gar nicht.)

Jedenfalls, war ein Raum in Alis Büro mit leuchtenden Kunstobjekten vollgestellt. Beim letzten Mal stand da nur ein Tisch, voller leerer Bierflaschen. Luba war beeindrückt von diesem aufgeräumten Zimmer voller Kunstobjekte, die sie anfassen durfte, das hatte sie noch nie. Sie ist auch so leicht zu beeindrücken, das naive kleine Ding. Schade, dass wir nicht da waren, sonst hätten wir ihr erklärt, WORUM ES WIRKLICH GEHT. Sechs oder sieben Leute aus diesen Kreisen, verkleidet in lange Pelzjacken, Felle und Stoffe, mit Ganzkopfmasken aus Pappmaché liefen mal im Kreis, mal durcheinander herum. Ein Mann war ganz nackt, mit einem Lendenschurz aus Noppenfolie.

Es gab nur eine Kamera, die mit weißen Gürteln aus Lederimitat zusammengehalten wurde. Sie gehörte S., einer Medienwissenschaftsstudentin. Luba musste warten, bis die Szene zu Ende gedreht wurde, um an diese Kamera ranzukommen. Wir haben ihr die neue aus der Redaktion nicht mitgegeben. (Sorry, wir können einer Praktikantin kein teures Equipment anvertrauen.)

Jedenfalls, als es endlich soweit war, hat Luba die Kamera schnell einjustiert und gleich angefangen, die Anwesenden mit ihren Fragen zu löchern (sie hat sich vorher Mut angetrunken), die wir ihr extra für solche Fälle beigebracht haben: Was erwartest du von heute Abend? Wer ist deine Lieblingsperson im Raum? Worum ging der Streit? Und warum musste es so laut sein? Warum bist du eigentlich so hyperaktiv? Bist du auch bei einem perversen Onkel aufgewachsen? Musst du nicht schon mal wieder irgendwohin?(wenn es sich jemand gemütlich auf dem Sofa macht.)

Wir finden, verlegene Menschen wirken so unwiderstehlich. Luba ist natürlich am schnellsten verlegen, das mögen wir an ihr. Wir wollten aber den Spieß umdrehen und auf diese Weise viele kleine Szenen filmen. Dann würde Luba sehen, wieviel Unwiderstehlichkeit sie allein mit ihren Worten schaffen kann. Wir wollten es für sie. Das arme Mädchen hat so viel gelitten.

LubaLuba, unsere Praktikantin, haben wir aus den Händen eines Monsters gerissen, bei dem sie immer schweigen musste, wasimmer auch passierte. Jetzt lernt sie bei uns einen anständigen Beruf und hofft auf eine bessere Zukunft. Sie berichtet uns manchmal über ihre Erlebnisse mit düsseldorfer Künstlern, die sie als Mittel zu Ruhm und Reichtum betrachten, aber auch anderen. Dieses Mal war sie nicht imstande, selbst einen Text zu verfassen.