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Luba und ihr Herpes

Ja, so heißt tatsächlich der erste Beitrag unseres Kultmagazins. Alle Redaktionsmitglieder, inklusive Buchhalter und Putzfrau, fanden es passend.

Luba, unsere Praktikantin, hat die Nacht bei A. A. verbracht. Offiziell „im Rahmen eines Projekts“, zusammen mit 12 anderen Leuten aus diesen Kreisen. Am späten Abend, als sie vor dem Rausgehen in den Spiegel geschaut hat, hatte sie nur einen kleinen roten Fleck an der Oberlippe, der kaum zu sehen war. Unwissend unterhielt sie sich mit allen, während dieser Fleck bis 7 Uhr morgens zu einem prächtigen gelben Brokkoli aufgeblüht war, aus glänzenden gelben Bläschen, gefüllt mit Lymphe. Wir fragen uns, wie sich wohl alle noch auf ihre Gesprächsthemen konzentrieren konnten während dieser ganzen Rosenzeit, die direkt vor ihren Augen stattfand.

Ein Glück für Luba, dass sie das noch nicht wusste, sonst wäre sie in Panik nach Hause gelaufen und hätte alles verpasst. Und wäre natürlich vom Kultmagazin gefeuert.

3518640b866fb89f80375a729ea5c1d9Vor allem auch, weil sie so viel Wert auf die Meinung Anderer legt, und, weil sie sich von einem extrem eitlen Drogendealer die ganze Nacht anhören musste, dass sie besser keine weiteren Fotos bei Facebook reinstellen soll, auf denen ihre allergische Reaktionen auf Medikamente so gut zur Geltung kommen. Wie etwa mit einer Unterlippe, die auf die Größe einer Minibanane anschwoll. Der Dealer meinte, man sollte sich im besten Licht darstellen. Es kann nämlich sein, dass bei denjenigen, die für dich (heimlich) romantische Gefühle hegen, diese Romantik sofort verfliegt. Sein Wort für das Lippenbild war, glaube ich, „abscheulich“.

Wir haben das Lippenbild nachträglich in der Redaktionssitzung besprochen. Darauf steht Luba in ihrem süßen gemusterten Pulli vor dem Spiegel und fotografiert sich selbst. Sie hat so unheimlich schöne Augen (deswegen haben wir sie angestellt) und zerzaustes Haar. Ihre Unterlippe sieht wirklich ein wenig monströs aus. Aber das mögen wir. So sehen wir Luba nicht jeden Tag. Sonst wechselt sie nur hin und wieder die Lippenstiftfarbe. Aber die Form, so krass! Das war mal eine gute Abwechslung. So wie ein surrealer Haarreif oder überdimensional große Ohrringe. Ein Redaktionsmitglied, der hier wegen seiner Frau ungenannt bleiben wollte, fand es sexy. Er hat „Knutschlippe“ dazu gesagt. In der Mittagspause hat er sich dann mit Luba zurückgezogen. Seine Frau erkennt ihn wahrscheinlich an seinem Herpesfleck.

Jedenfalls war das für Luba am besagten Abend noch nicht alles. Wäre ja auch schade. Wir haben sie nämlich nicht dahingeschickt, damit sie die erbärmlichen Reste ihres Selbstvertrauens verliert. (Die Arme ist bei ihrem perversen Onkel aufgewachsen.) Wir wollten, dass sie sich ein wenig amüsiert.

Anders, als beim letzten Mal, hat A., der Gastgeber und Projektleiter des Projekts, Luba nicht als „schmutzig“ beschimpft. Er kann manchmal so ein Arsch sein (wir fragen uns, wie sie sich nach dieser Aktion überhaupt noch getraut hat, dahin zu gehen). Dieses Mal war er wohl besser drauf. Er meinte, sie soll bei diesem Film (der Projekt war ein Film) ihren eigenen Beitrag leisten, als Journalistin. Dabei sah er sie an, als hätte sie schon zwei Pulitzerpreise bekommen. Er sagte, sie soll näher ans Set kommen und sich ihre journalistische (!) Meinung bilden. Luba war so glücklich. Später hat er ihr wieder angeboten, Aktfotos zu machen.

Sie war dieser Frage gewohnt. Seit sie sich in diesen Kreisen bewegt, kriegt sie dauernd Einladungen irgendwas zu machen, wo sie nackt sein soll: ein Aktfoto hier, ein Pornofilm da. Eine Kunststudentin wollte sogar von Luba, dass sie vor der Kamera Poledance macht. So um eine vertikale Stange, unbedingt in kurzen Hosen (das haben wir ihr zum Glück ausgeredet, kurze Hosen stehen ihr nämlich gar nicht.)

Jedenfalls, war ein Raum in Alis Büro mit leuchtenden Kunstobjekten vollgestellt. Beim letzten Mal stand da nur ein Tisch, voller leerer Bierflaschen. Luba war beeindrückt von diesem aufgeräumten Zimmer voller Kunstobjekte, die sie anfassen durfte, das hatte sie noch nie. Sie ist auch so leicht zu beeindrücken, das naive kleine Ding. Schade, dass wir nicht da waren, sonst hätten wir ihr erklärt, WORUM ES WIRKLICH GEHT. Sechs oder sieben Leute aus diesen Kreisen, verkleidet in lange Pelzjacken, Felle und Stoffe, mit Ganzkopfmasken aus Pappmaché liefen mal im Kreis, mal durcheinander herum. Ein Mann war ganz nackt, mit einem Lendenschurz aus Noppenfolie.

Es gab nur eine Kamera, die mit weißen Gürteln aus Lederimitat zusammengehalten wurde. Sie gehörte S., einer Medienwissenschaftsstudentin. Luba musste warten, bis die Szene zu Ende gedreht wurde, um an diese Kamera ranzukommen. Wir haben ihr die neue aus der Redaktion nicht mitgegeben. (Sorry, wir können einer Praktikantin kein teures Equipment anvertrauen.)

Jedenfalls, als es endlich soweit war, hat Luba die Kamera schnell einjustiert und gleich angefangen, die Anwesenden mit ihren Fragen zu löchern (sie hat sich vorher Mut angetrunken), die wir ihr extra für solche Fälle beigebracht haben: Was erwartest du von heute Abend? Wer ist deine Lieblingsperson im Raum? Worum ging der Streit? Und warum musste es so laut sein? Warum bist du eigentlich so hyperaktiv? Bist du auch bei einem perversen Onkel aufgewachsen? Musst du nicht schon mal wieder irgendwohin?(wenn es sich jemand gemütlich auf dem Sofa macht.)

Wir finden, verlegene Menschen wirken so unwiderstehlich. Luba ist natürlich am schnellsten verlegen, das mögen wir an ihr. Wir wollten aber den Spieß umdrehen und auf diese Weise viele kleine Szenen filmen. Dann würde Luba sehen, wieviel Unwiderstehlichkeit sie allein mit ihren Worten schaffen kann. Wir wollten es für sie. Das arme Mädchen hat so viel gelitten.

LubaLuba, unsere Praktikantin, haben wir aus den Händen eines Monsters gerissen, bei dem sie immer schweigen musste, wasimmer auch passierte. Jetzt lernt sie bei uns einen anständigen Beruf und hofft auf eine bessere Zukunft. Sie berichtet uns manchmal über ihre Erlebnisse mit düsseldorfer Künstlern, die sie als Mittel zu Ruhm und Reichtum betrachten, aber auch anderen. Dieses Mal war sie nicht imstande, selbst einen Text zu verfassen.